Walter Holzinger, Günter Patoczka, Oberbank Ried

 

Die Einladung zur heutigen Vernissage hat Ihnen meine „Einführung in die Arbeiten der Künstler“ versprochen. Zunehmend zweifle ich an der Sinnhaftigkeit meiner Texte zur Kunstbetrachtung. Der Gedanke, dass beim Betrachten von Kunst jedes Mal zwei Welten aufeinander prallen – die Welt des Betrachters und die Welt des Werkes – beide in ihrer Komplexität oft kosmischen Ausmaßes, muss unmittelbar in eine wahrnehmungsphilosophische Diskussion münden und relativiert die allgemeine Gültigkeit, die eine Anleitung zur Lesart eines Kunstwerkes rechtfertigen würde. Zu groß ist die Gefahr, Dinge vorwegzunehmen, den Zuhörer nicht unbedingt auf falsche, doch auf höchstpersönliche Fährten zu führen, dort Antworten zu liefern, wo Fragen die eigentliche Zielsetzung sein sollten. Der Satz „Die Kunst zu investieren – investieren in Kunst“ hat in mir einige Fragen aufgeworfen. Erlauben Sie, dass ich ein paar Gedanken mit ihnen teile.

 

Die Frage nach dem Zweck der Kunst ist wohl so alt wie die Kunst selbst. Trotz vieler philosophischer Ansätze und kluger Nachfragen, gibt es für mich doch keine klare, gültige Antwort. Heinrich Heines Satz „Kunst ist der Zweck der Kunst“ – ein Beweis für die allgemeine Ratlosigkeit. Aber spannend bleibt es dort, wo es, bei allem Bemühen, keine klare Lösung gibt. Entlarvend sind jedoch die Fragestellungen zur Funktion von Kunst, da sie, je nachdem aus welcher „Ecke“ sie daherkommen mögen, Rückschlüsse über das „Funktionieren“ der jeweiligen Gesellschaft zulassen.

 

Innerhalb der Kunstgeschichte begegnen uns viele Motive für künstlerisches Schaffen, mannigfaltig wie die Kunst selbst. Angeborener, instinktiver Gestaltungswille, Untermauerung einer gottgewollten Sonderstellung des Menschen innerhalb der Schöpfung, Ausdruck von Frömmigkeit, erzählende und abbildende Funktionsprinzipien für eine Gesellschaft, die mehrheitlich des Lesens und Schreibens nicht mächtig war, das Schöne und Wertvolle als Abbild des Göttlichen, aber auch Ausdruck von Elementen weitaus profanerer Natur, wie Erfolg, Reichtum und Macht. Heute, in einer größtenteils entmystifizierten, aufgeklärten, säkularisierten Gesellschaft, blüht die Kunst nach wie vor. Manche Funktionen haben sich überholt, manche sogar ad absurdum geführt, andere blieben bestehen, Neues kam hinzu und die Nachfrage ist selbst in dieser digitalen, hochauflösenden Welt voller 3D-Drucker ungebrochen.

 

Eine Entwicklung der vergleichsweise jüngeren Vergangenheit ist, neben dieser leidigen ungeklärten Zweck-Frage, die Frage nach dem „Wert“ von Kunst, und ganz im Sinne einer materialistisch und kommerziell geprägten Zeit steht nicht die Frage nach dem fiktiven, den immateriellen Werten, sondern sehr konkreten, in Zahlen ausdrückbaren Werten im Vordergrund. Kunstwerke als Spekulationsobjekte, Kunstfonds versprechen hohe Renditen bis hin zu den schwindelerregenden Zahlen bei internationalen Auktionen. Das hehre Menschenbild, das der Kunst lange zu Grunde lag, ist in den Mechanismen des modernen Kunstzirkus dieser Dimension schwer aufrecht zu erhalten.

Wohltuend ehrlich, in ihrer Authentizität fast subversiv, erscheinen uns hingegen die Arbeiten der beiden Künstler, die heute hier ihre Werke präsentieren.

 

Walter Holzinger und Günter Patoczka kennen sich, wie sie selbst sagen, seit gefühlten 150 Jahren. Sie sind langjährige Kollegen in der Künstlergilde, Freunde. Sie als „alte Hasen“ zu bezeichnen, erschiene mir an dieser Stelle zwar durchaus passend, aber despektierlich.  Durchaus unterschiedlich verlief ihr Lebensweg, heterogen sind die gewählten Medien und Mittel sich auszudrücken. Was sie eint, ist ihr Zugang, der „Zweck“ ihrer Kunst. Die Fragen rund um das Menschsein bilden das Zentrum ihrer Auseinandersetzung. Walter Holzinger nähert sich als Bildhauer dem Thema über die äußere Gestalt, die Form. In seinen Skulpturen, die er, geprägt von den sakralen Statuen aus Kindertagen, gerne farbig fasst, spürt er einem menschlichen Idealbild nach. Leicht überlängt sind seine Formen, zurückhaltend die Farbigkeit, nichts, was unnötig vom Wesentlichen seiner Betrachtungen ablenken könnte. Der haarlose Kopf, Sitz unserer Gedankenwelt, positiv und negativ, wird dabei für ihn zum Sinnbild des Menschseins schlechthin.  Die langen Hälse lassen seine Figuren elegant, fast erhaben und doch fragil erscheinen. Ihr Blick kreuzt nicht den Blick des Betrachters, doch nicht aus Hochmut blicken sie durch uns hindurch. Vielmehr scheint es, ab ob sie hinter irgendetwas blicken würden, etwas, das uns in unserer gegenwärtigen Beschränktheit vielleicht noch verborgen bleiben muss.

 

Günter Patoczka hat sich als Bühnenbildner lange mit der naturalistischen Darstellung des Menschen auseinandergesetzt. Die Gegenständlichkeit hat seine Kunst lange begleitet, doch erst die totale Abstraktion ermöglichte ihm das auszudrücken, was seinem Wahrheitsanspruch gerecht wird und was er als das für ihn Wesentliche bezeichnet. Die Suche nach diesem Wesentlichen spiegelt sich in einer für seine Bilder typischen reduzierten Farbigkeit wider. Der Wechsel zwischen klaren und verschwommenen Anteilen verdeutlicht, dass wir auf der Suche nach Wahrheit unzählige Fragen, doch nur wenige Antworten erhalten. Durch Schichtung und Übermalung erreicht er jene Dichte in den Oberflächen, die die Voraussetzungen schafft, das zu illustrieren, was seine eigentliche Intention ist: die Manifestation des Emotionalen. So entfalten sich seine Bilder zu Spiegeln seelischer Vorgänge sowohl seiner eigenen als auch jener des Betrachters.  

 

Wenn auch die Frage nach dem Zweck und Wert der Kunst in ihrer Gesamtheit vielleicht ungeklärt bleibt, Walter Holzinger und Günter Patoczka haben sie für sich beantwortet. So wie viele andere Kolleginnen und Kollegen investieren sie in ihre Kunst: Herzblut, Arbeit, Energie, und weil sie nach vielen Jahren noch immer nicht müde sind, wohl aus tiefster Überzeugung heraus. Wir als Betrachter profitieren. In Zeiten wie diesen ist solche Kunst wertvoller denn je. In Analogie zum memento mori dient sie uns als materialisierte Ermahnung an unser Menschsein, regt uns mit offenen Fragen zum Nachdenken an und liefert uns gleichzeitig die Antworten, die wir im allgegenwärtigen Wahn des „return-on-invest“ so vergeblich zu finden suchen. Der Kauf von Kunst zum Zwecke der Spekulation pervertiert die eigentliche Aufgabe. In Kunst zu investieren ermöglicht uns nicht nur, einem Werk, das auf die eine oder andere Weise zu uns spricht, ganz nah zu sein, es bildet für den Künstler die Grundlage, frei, und unabhängig von marktwirtschaftlichen Überlegungen, auch abseits vom Zeitgeist und Zweckbestimmtheit, die Rolle einzunehmen, die in einer reflektierten Welt so wesentlich erscheint: nicht durch Materielles vereinnahmt und erpressbar zu werden, sondern um ein Leben zu führen, das es ihm ermöglicht, frei von wirtschaftlichen Zwängen zuweilen  am Gewissen der Gesellschaft zu rütteln und es sich leisten zu können, auch beizeiten gegen den Strom zu schwimmen.

 

Hanna Kirmann, Juni 2015