Kunst am Bau – Volksschule Pattigham

(Projektpartner: Bernhard Schwarzenlander)

 

Ein gelungenes Kunst-am-Bau-Projekt sollte – neben einer ästhetischen Qualität – vor allem inhaltliche und formale Bezüge zum Gebäude selbst, wie zur spezifischen Nutzung aufweisen. Mittels Begehung und durch Auseinandersetzung mit Ort und Funktion, spürt der Künstler im besten Fall jenen charakteristischen Aufhänger auf, der wie ein Fundstück vor Ort als Ausgangspunkt für eine Story dienen kann – jene ganz individuelle Geschichte, in der sich alle wesentlichen Elemente schließlich wie selbstverständlich zu einer logischen Erzählung zusammenfügen. 

 

Meist sind solche Aufhänger ungewöhnliche Details oder Merkwürdigkeiten – in diesem Fall war es eine alte Treppe. Zur alten Bausubstanz gehörend, war sie zwar noch Teil des Gebäudes, doch ihre Stufen waren nicht mehr ÖNORM-konform, das Stiegenhaus abgeschlossen, wenn auch einsichtig, und ihre Benutzung verboten. 

 

Treppen bieten allgemein viele Interpretationsmöglichkeiten: Ikonografisch steht die weiße Treppe für Klarheit und Weisheit und versinnbildlicht gleichzeitig verschiedene Stufen-Systeme unserer Gesellschaft, wie eben z.B. das Bildungssystem. Die „verbotene“ Treppe im Speziellen erweitert ihre Symbolkraft, besonders im schulischen Kontext. Vielerorts existieren nicht mehr normgerechte Treppen, in alten Häusern, kleinen Altstadtgassen, in Kirchen und Burganlagen, usw. Dort erfüllen sie manchmal selbst nach Jahrhunderten noch ihre Funktion - und nicht nur das. Viele Menschen suchen gezielt diese Orte auf, aufgrund ihrer Individualität, ihres Charmes und Charakters. Obwohl die Förderung von Individualität eines der großen Bildungsziele ist, teilen unsere Kinder im Schulsystem vielfach das Schicksal unserer Treppe. Wer sich innerhalb der Schule befindet, unterliegt Normen und ist gezwungen, sich ihnen anzupassen, einerseits als Basis für Bewertungssysteme, andererseits zur Aufrechterhaltung des Systems Schule an sich. 

 

Die Skulptur bildet die verbotene Treppe aus dem Gebäude in ihren Proportionen und nicht normgerechten Stufen 1:1 ab und befreit die Treppe so aus dem offiziellen Kontext einer Funktion und deren Anforderungen. Als Kunstobjekt, ohne praktische Funktion, muss sie keiner Norm entsprechen und wird damit, im Spannungsfeld zwischen Zweck und Nutzen, zum Statement gegen normative Werturteile und Konformismus. In ihrer fast senkrechten Position symbolisiert sie weder Auf- noch Abstieg – sie markiert lediglich den Ort der Möglichkeiten, um im Sinne von Freiheit und Selbstverantwortlichkeit hier seinen eigenen Weg zu finden. Das Weiß des Objekts unterstützt diesen Gedanken. Als Farbe der Unberührtheit erinnert es an ein unbeschriebenes Blatt Papier, eine Zukunft, die erst gestaltet wird; etwas, das jeder für sich auf seine eigene Art und Weise bewältigen muss. 

 

Leicht schief ins Fundament gesetzt, erzeugt sie Dynamik im Spannungsfeld zu den gewohnten, senkrechten Sichtachsen. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln und durch Veränderung des Standpunktes, verändert sich auch ihre Anmutung. Mal erscheint sie uns bewältigbar, einladend, ein andermal verursacht sie Unbehagen und scheint zu kippen. So spielt sie mit divergenten Emotionen, mit denen wir alle in unterschiedlichen Lebenslagen, und SchülerInnen auf ihrem Bildungsweg im Speziellen, immer wieder konfrontiert sind. 

 

Hanna Kirmann, Oktober 2021