„textil.lusion“

 

Auch im stets betont aufgeschlossenen Kunstzirkus ist die Welt nur allzu gerne schwarz oder weiß. Kunst oder Handwerk. Intellektueller oder Praktiker. Aussteiger oder Aufsteiger. Es wäre alles so einfach! Zu dumm, dass sich heute hier ein Künstler präsentiert, der sich plötzlich „Weber“ nennt, ein intellektueller Praktiker, eigentlich ein Alphatier, ein Macher, der aber eher das Leben eines Eremiten führt.

Obwohl Bernhard Schwarzenlander seinerzeit als Programmierer und heute als Weber ein Kenner und Anwender binärer Systeme ist, gibt er sich bei Werturteilen und Lebensentwürfen mit Schwarz und Weiß nicht zufrieden, und es reicht allein ein Blick in seine Biographie, um zu erkennen, dass hier jemand seinen eigenen, zuweilen steinigen Weg geht. Bauer war er schon, Programmierer, Taxifahrer, Vertreter, Erzieher und Kunsterzieher im Speziellen. Ähnlich den subtilen Farbmischungen seiner selbst verarbeiteten Naturmaterialen gibt es bei Bernhard Schwarzenlander eben viele, viele Töne dazwischen.

Manches erscheint auf den ersten Blick vielleicht sogar ambivalent. Die Kombination von stellenweise archaisch anmutender Handweberei mit smartphone-tauglichen QR-Codes und urbanem Jargon; die Abschottung nach außen, um uns gleich darauf Einblick in seine innerste Gedankenwelt zu gewähren; der Wunsch nach mehr Empathie und Kritik an der Kopflastigkeit in vielen der Zitate, die er seinen Webereien zur Seite stellt, wodurch auch eine gewisse Kopflastigkeit zum Vorschein kommt. Wie gesagt nur widersprüchlich auf den ersten Blick. Authentisch aber allemal, denn Bernhard Schwarzenlander ist all jenes von vornherein suspekt, das sich nur allzu glatt in irgendein Kästchen zwängen lässt und Ambivalenz prägt, so diagnostiziert er selbst, sein Tun und Denken.

Obwohl er, seitdem er dem Schuldienst den Rücken kehrte, eher zurückgezogen in Pattigham lebt, glaubt er an die befruchtende Macht menschlichen Diskurses. So argumentiert bzw. erklärt er auch die heute hier präsentierte Kombination von Textil und Text.

Die Textilen Künste haben sich seit ihrem großen Niedergang in ihrem Selbstbewusstsein nicht mehr vollständig erholt. Schwarz-Weiß gedacht, existieren sie entweder als vom Künstlerischen völlig entkoppelter, hochtechnisierter Produktionsvorgang oder als weltfremde, auf ein paar technikverweigernde Schafwollpulloverromantiker beschränkte Liebhaberei, die von den sog. „wahren“ Künsten ins unbeliebte „Kunsthandwerkseckchen“ gestellt wird.

Aus diesem Rechtfertigungskomplex heraus entwickelten sich mehrere Strategien. Die einen verstecken sich hinter rein Funktionalem und lassen das Ästhetische außen vor. Die anderen fürchten sich, weil Kunst- bzw. Nicht-Kunstkriterium, vor der Funktion, biedern sich an die Malerei an oder verbrämen textile Ästhetik nachträglich mit intellektuellem Inhalt.

Keines von beiden ist hier der Fall. Bernhard Schwarzenlanders Gewebe sind und bleiben - wenn auch teilweise gerahmt - Gewebe und keine Bilder, was nicht bedeutet, dass sie nicht hochästhetisch sind. Der Rahmen definiert lediglich das Fragment in seiner Abgeschlossenheit und unterstützt seine Wertigkeit. Vielleicht erinnert uns der Rahmen auch daran, dass uns manchmal leider erst der Rahmen um etwas, gleich dem Sucher einer Kamera, dahingehend ermahnt, genauer hinzusehen.

Obwohl er den Didaktiker oft nicht verbergen kann und will, dienen die literarischen Fragmente hier weder einer Belehrung des Betrachters noch empfindet man eine aufoktroyierte nachträgliche Intellektualisierung. Es geht dem Künstler darum, sehr wertfrei, Zitate und Gedanken zu präsentieren, die ihn bei der Arbeit an diesen Geweben beschäftigten, also um die Dokumentation eines Prozesses und darum, ohne vorgegebene Richtung zum Denken anzuregen.

Christian Morgensterns Gedicht „Was denkst du“ und die in Analogie dazu entstandene Bearbeitung des Künstlers, die wir eben gehört haben, vergleicht die komplexen, für Nicht-Weber oft undurchschaubaren Vorgänge in der Weberei mit jenen, für Außenstehende nicht lesbaren Vorgänge in unserem Denken. Dieses Bild ist nicht nur ein schönes, sondern ein durchaus nachvollziehbares.

Wer jemals eine Kette aufgebäumt hat, weiß, wie schwer es sein kann, sich nicht in diesen unzähligen Fäden zu verheddern. Jeder Faden hat seinen Platz. Und so bedarf es vielleicht auch einer gedanklichen Ordnung und Struktur, um in der Erkenntnis zu einem Ergebnis zu gelangen und sich nicht in verschiedenen Gedankensträngen zu verzetteln, damit sich widersprüchliche Knoten auflösen und sich die vom Philosophierenden angestrebte Klarheit einstellen kann. Es gibt eine Reihe von Redewendungen, die sich textiler Terminologie bedienen, um gedankliche Vorgänge zu beschreiben. Die langwierigen, oft monotonen Handgriffe sind zwar auf den ersten Blick ermüdend, doch sie fungieren auch als eine Art Psychohygiene; der Kopf wird klar, die Gedanken ordnen sich, gleich der Ordnung der Fäden, die der vorgegebenen Struktur, der „Kette“ unseres Denkens ähneln und ein schönes Bild für die schon von Schopenhauer bezweifelte Freiheit des Willens abgeben.

Trotzdem, innerhalb der Grenzen unseres Denkens gibt es, wie in der Weberei, unzählige Varianten. Aufbauend muss man vorgehen, erst die simpelsten Vorgänge durchblicken. Dies gibt letztendlich jene Sicherheit im Tun und Denken und führt, ohne die Mechanismen totalitärer Systeme oder religiöser Dogmen zu benötigen, zur Kontingenzbewältigung aus dem eigenen Selbst heraus und somit zu wahrer Freiheit im Denken und Tun.

Der Spruch „Kunst kommt von Können“ ist wahrlich überstrapaziert und schon längst zur Plattitüde verkommen, doch wie viele Plattitüden besitzt er einen wahren Kern.

Wer Bernhard Schwarzenlander kennt, der weiß eines: Egal, was er macht, er macht es sich nicht leicht. Vieles, das wir tagtäglich sehen, worauf wir reagieren, vieles, das wir tun oder denken, funktioniert zunehmend über Effekthascherei, Schnelligkeit, oberflächlichen Ästhetizismus. Bücher werden nicht mehr gelesen, Autoren lediglich zitiert, selbst ganze Weltanschauungen werden je nach Mode kopiert, konsumiert und über Nacht wieder ausgetauscht.

Fast masochistisch wirkt hingegen diese Suche nach Wahrhaftigkeit, dieser Anspruch. Der Wunsch, wahre Sicherheit im Tun und somit Erdung in der Welt zu erlangen, fordert, alles selbst zu bewältigen, jeden Schritt zu durchblicken, das Material zu bearbeiten, zu spinnen, zu färben, Webstühle zu bauen, zu adaptieren, nichts Vorgegebenes unhinterfragt zu übernehmen und zuguterletzt: all diese Bücher auch zu lesen. Mit diesem Anspruch auf Authentizität geht Bernhard Schwarzenlander den Dingen auf den Grund und bewältigt nicht nur alle Phasen der Weberei und künstlerischen Gestaltung aus eigener Kraft, sondern überzeugt ganz nebenbei auch mit fundierter Literaturkenntnis und – in den 10 Titeln seiner Fragmente sichtbar – auch mit allgemeingültiger philosophischer Essenz seiner jahrelangen Auseinandersetzung.

Also was jetzt? Weber? Denker? Philosoph? Künstler? Schwarz oder Weiß? Warum nicht einfach Schwarzenlander?

 

Hanna Kirmann, 2014-10-30